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BGH konkretisiert Anforderungen: Prüfung auf nicht zu rechtfertigende Härte bei Suizidgefahr nach Wohnungskündigung

Es ist als Härtefallgrund anerkannt, dass eine Räumung nach einer Kündigung des Mietverhältnisses zu unterbleiben hat, wenn der Mieter mit Suizid droht. Wie diese Gefahr künftig seriös zu prüfen und bewerten ist, hat kürzlich der Bundesgerichtshof (BGH) anhand eines aktuellen Falls konkretisiert.

Ein Mann wohnt seit 1988 mit seiner Lebensgefährtin in einer im Dachgeschoss gelegenen Zweizimmerwohnung. Der Vermieter hatte nun die ordentliche Kündigung wegen Eigenbedarfs erklärt, der die Mieter widersprachen. Ihren Widerspruch begründeten sie damit, dass die Kündigung für sie eine besondere Härte darstelle, da ein Umzug aufgrund ihrer gesundheitlichen sowie finanziellen Situation "schlicht unmöglich" sei. Schließlich verlangte der Vermieter die Räumung. Das zuständige Landgericht (LG) holte daraufhin ein schriftliches psychiatrisches Gutachten ein und hörte im Anschluss den Sachverständigen an, bevor es der Räumungsklage stattgab. Dagegen legten die Mieter Revision ein.

Der BGH hat das Berufungsurteil hinsichtlich der Härteregelung aufgehoben und die Angelegenheit zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Dazu gab er folgende Hinweise: Werden von dem Mieter ihm drohende schwerwiegende Gesundheitsgefahren substantiiert geltend gemacht, haben sich die Gerichte beim Fehlen eigener Sachkunde regelmäßig mittels sachverständiger Hilfe ein genaues und nicht nur an der Oberfläche haftendes Bild zu verschaffen. Zwar hatte das LG die Suizidankündigung beider Mieter als ernsthaft bewertet und erkannt, dass diese bereits einen konkreten Plan entwickelt und Vorbereitungen in Form einer Ansammlung von Medikamenten getroffen hätten. Rechtsfehlerhaft hat es aber der hieraus resultierenden Gefahr für das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Mieter allein deshalb keine Bedeutung bei der Prüfung des Vorliegens einer Härte beigemessen, weil der diesbezügliche Wille von den Beklagten frei gebildet worden sei und sich als im Rahmen ihrer freien Willensbildung gewählte Reaktionsstrategie auf den möglichen Verlust ihrer Wohnung darstellte. Eine solche Sichtweise wird jedoch dem in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz enthaltenen Gebot zum Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit nicht in der erforderlichen Weise gerecht. Bei drohenden schwerwiegenden Gesundheitsproblemen oder Lebensgefahr sind die Gerichte verfassungsrechtlich gehalten, ihre Entscheidung auf eine tragfähige Grundlage zu stellen, Beweisangeboten besonders sorgfältig nachzugehen und den hieraus resultierenden Gefahren bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen hinreichend Rechnung zu tragen. Das muss vom LG nun entsprechend nachgeholt werden.

Hinweis: Es dürfte also künftig vermehrt zur Einholung von Sachverständigengutachten kommen, wenn tatsächlich ein Suizid vom Mieter angedroht wird. Das dürfte die Räumungsverfahren zu Lasten der Vermieter weiter in die Länge ziehen.


Quelle: BGH, Urt. v. 10.04.2024 - VIII ZR 114/22
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 07/2024)

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